Schleuse 100
Wenn im Zusammenhang mit historischen technischen, Industrie- oder Verkehrsbauten mitunter der Begriff „Ingenieursbaukunst“ fällt, so ist dies in nicht wenigen Fällen durchaus wörtlich zu nehmen. Bis ins frühe 20. Jahrhundert wurde in der Tat der künstlerischen Ausgestaltung derartiger Zweckbauten oft sehr viel mehr Aufmerksamkeit eingeräumt als dies heute meist der Fall ist. Geradezu als Paradebeispiel hierfür dürfen die unterschiedlichsten Bauten entlang des Ludwig-Donau-Main-Kanals von Kelheim nach Bamberg gelten. Angelegt unter König Ludwig I. in den Jahren 1836 bis 1846, wurden selbst kleinste Bauwerke entlang der mit viel Aufwand realisierten Wasserstraße mit größter künstlerischer Sorgfalt geplant und ausgeführt. Dies gilt insbesondere für die 100 Kammerschleusen mit den dazugehörigen 69 Schleusenwärterhäuschen.
Freiherr Heinrich von Pechmann, dem die Projektierung des Kanals oblag, fertigte eigens einen – je nach Ort und Bedarf leicht zu variierenden – Musterplan für die kleinen Gebäude an. Doch damit nicht genug, ließ der ebenso kunstsinnige wie auch baufreudige Monarch diesen Musterplan nochmals durch die Oberste Baubehörde unter Vorsitz des berühmten Leo von Klenze überarbeiten. Im Ergebnis entstanden schließlich 69 kleine, sich jedoch lediglich in Details unterscheidende Meisterwerke nach dem Vorbild römisch-antiker Architektur. Erhalten allerdings blieben hiervon nicht allzu viele. Die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und dann vor allem die nicht immer sensible Überbauung durch den neuen Main-Donau-Kanal dezimierte die Zahl der Schleusenwärterhäuschen mehr und mehr, und dort, wo sie wie durch ein Wunder der Abrissbirne entgingen, wurden oft zumindest die dazugehörigen Schleusen längst zerstört – mit einer Ausnahme allerdings: Die letzte ununterbrochen funktionsfähige und bis heute unveränderte Schleuse samt Schleusenwärterhaus trifft man, so wie sie gegen 1840 erbaut worden war, am Mühlwörth in Bamberg an. Die Schleuse 100, ihre hölzernen Schleusentore, die immer noch funktionstüchtige Hebebrücke sowie das naheliegende Schleusenwärterhaus mit seinen markanten Rundbogenfenstern lassen hier einen letzten Hauch Kanalromantik verspüren, wie sie gerade nördlich von Nürnberg nunmehr so selten geworden ist. Eine Besichtigung der Anlage lohnt daher auf jeden Fall, denn auch sie repräsentiert jenes überaus vielschichtige Weltkulturerbe Bamberg in eindrucksvoller Art und Weise.
Text: Robert Schäfer
Quelle:
Flussparadies Franken e. V.
Organisation:
Flussparadies Franken e. V.
Zuletzt geändert am 15.11.2021
ID: p_100077012