Klein Venedig
Nicht viel seltener als das Alte Rathaus wird auch Klein-Venedig von Gästen aus aller Welt abgelichtet. Am rechten Regnitzufer im Bereich Kapuzinerstraße und Fischerei gelegen, stellt es sich bis heute als eindrucksvolles Ensemble eines früheren Fischerviertels inmitten einer pulsierenden Stadt dar.
Dabei entsprach die kleinteilige, mehrheitlich ins 16. bis 19. Jahrhundert datierende Bebauung der Siedlung eigentlich gar nicht den Vorstellungen der Stadtplaner im Barock.
Ursprünglich befand sich nach neueren Erkenntnissen die Bamberger Fischersiedlung wohl am gegenüberliegenden Regnitzufer. Mit der fortschreitenden Expansion des bischöflichen Einflussbereiches in jenem Gebiet vollzogen die Fischer dann allerdings im 14. Jahrhundert einen „Seitenwechsel“ auf die damalige Insel Abtswörth, welche erst gegen Ende des Mittelalters mit der Inselstadt zusammenwuchs. Hier nun errichteten sich die Bamberger Fischer ihr eigenes Viertel. Zur Straßenseite hin unterscheiden sich die ein- bis zweigeschossigen Häuschen mit ihren barock verkleideten Fassaden nicht wesentlich von der übrigen Bebauung der Bürgerstadt. Zum Fluss hin aber zeigt sich ein ganz anderes Bild, wie man am besten bei einem Blick von der Oberen Brücke oder vom gegenüberliegenden Regnitzufer erkennen kann: Hier sieht man nun die dicht an den Fluss gebauten Rückfronten der Fischerhäuser.
Diese weisen vielfach Holzgalerien sowie vorgelagerte Landeplätze und teilweise sogar noch Hängevorrichtungen für Netze auf. Ursprünglich waren die heutigen Holzlauben im Erdgeschoss der Häuser offen, da sie wegen der häufigen Hochwassergefahr nicht als Wohnraum in Frage kamen und stattdessen als Lageplatz für die Fischerkähne genutzt wurden.
Was heute so pittoresk wirkt und fraglos eine der Hauptsehenswürdigkeiten Bambergs bildet, galt jedoch im 18. Jahrhundert als städtebaulicher Problemfall. Seinerzeit wurde nämlich nicht nur das Alte Rathaus, sondern auch die gesamte Uferbebauung entlang der Regnitz einer umfassenden Neugestaltung unterzogen. Das ruinöse Schloss Geyerswörth wurde renoviert, am linken Flussufer entstanden ein Neubau des Dominikanerklosters sowie eine „Besserungsanstalt“, gegenüber die stattliche Fleischhalle. Unmittelbar flussabwärts jedoch schloss sich die Siedlung der Fischer an, die sich damals – obwohl alles andere als den Idealvorstellungen entsprechend – und darüber hinaus bis heute ihre Kleinteiligkeit bewahren konnte.
Was auf Besucher also so romantisch wirkt und treffend auch als „Klein-Venedig“ bezeichnet wird, war noch vor gut zweihundert Jahren alles andere als ein Schmuckstück. Überdies gingen die Bamberger Fischer ihrem Beruf nicht gerade in ökologisch unbedenklichem Wasser nach. Immerhin leiteten nur wenige Meter flussaufwärts die Gerber ihre giftigen Abwässer in die Regnitz, und in unmittelbarer Nachbarschaft gar wurden die Abfälle des Schlachthauses auf die gleiche bequeme Art entsorgt. Da Begriffe wie Viren, Keime, Bakterien oder Hygiene seinerzeit noch nicht geläufig waren und überdies der gefangene Fisch nicht notwendigerweise vor dem Verzehr gereinigt wurde, mag die Ausbeute der Fischer eine eher fragwürdige Delikatesse dargestellt haben. Davon freilich ahnt der Besucher des 21. Jahrhunderts nichts mehr, er erfreut sich vielmehr an der malerischen Bebauung entlang des rechten Regnitzufers.
Text: Robert Schäfer
Quelle:
Flussparadies Franken e. V.
Organisation:
Flussparadies Franken e. V.
Zuletzt geändert am 30.10.2020
ID: p_100076015